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17.12.13 Kinder im sozialen Abseits Angelinas Familie lebt seit zehn Jahren von Hartz IV. Ihre Mutter ist Frührentnerin, und der Malerbetrieb, in dem der Vater arbeitete, meldete vor zehn Jahren Insolvenz an. Seitdem trägt er nachts Zeitungen aus und arbeitet als Ein-Euro-Fahrer für die Lebenshilfe - das reicht nicht für eine Familie mit fünf Kindern. Angelina bekommt kein Taschengeld. Und sie kann auch nicht viel dazu verdienen: Nach der Hartz-IV-Regelung wird sie zur Erwerbsgemeinschaft ihrer Familie zugerechnet. Verdiente sie Geld, würde das Amt es den Eltern wieder abziehen. "Arm sein ist Mist!", fasst sie ihre Situation zusammen, die sich vor zwei Jahren nochmals zuspitzte: Da kristallisierte sich eine starke Laktose-Intoleranz heraus, Milchprodukte verursachen bei ihr Magenkrämpfe: Die Medikamente werden nicht von der Krankenkasse übernommen. Zusammen mit den laktosefreien Lebensmitteln kommen im Monat an die 100 Euro Mehrkosten zusammen. Geld, das ihren vier Geschwistern fehlt - Angelina weint manchmal deswegen. Angelina hat sich ihren Herzenswunsch, das Reiten, nun selbst erfüllt: Sie assistiert bei der Therapie von behinderten Kindern auf einem Pferdehof und darf im Gegenzug kostenlos reiten. Angelinas Schwester, die elfjährige Hanna würde gerne Geige spielen, aber wie sich den Unterricht leisten? Auch die Geige kostet Geld. Laut Statistischem Bundesamt lag die Armutsquote von Kindern und Jugendlichen in Deutschland 2012 bei 18,9 Prozent. Knapp 2,46 Millionen Kinder und Jugendliche sind von Armut betroffen. Insofern erlebte ich den Moment, wo die 37 Grad-Redaktion mir den Auftrag zu einer Reportage gab, die das Phänomen Kinder- und Jugendarmut abbilden sollte, erstmal als Befreiungsschlag. Von Anfang an aber zeigte es sich, dass es ganz schwer werden würde, Familien zu finden, die im Fernsehen vor einem Millionenpublikum über ihre Situation sprechen möchten. Rund einhundert Institutionen sprachen wir an. Viele bemühten sich ehrlich um Mithilfe, dass wir in Kontakt kommen mit armen Eltern und Kindern. Doch die Rückmeldungen waren fast alle negativ. Die Hemmschwelle ist enorm groß. Arme Eltern wollen die Probleme nicht öffentlich machen. Sie wissen bereits, wie es ist, in der Nachbarschaft, im Umfeld, stigmatisiert zu werden. Armut ist ein Thema, das mit viel Scham behaftet ist und das viele vertrauensbildende Vorgespräche benötigt. Andere Fernsehformate, in denen arme Menschen bloß gestellt werden, tragen leider nicht zu einem Grundvertrauen bei. Deshalb dauerte es ein knappes halbes Jahr, ehe wir endlich zwei Familien fanden. Dass die beiden Familien uns von Anfang an einen unverstellten Blick in ihr Leben gewährten, war für uns ein Glücksfall. Ihre Armut ist nicht direkt sichtbar, das soziale Netz in Deutschland funktioniert weitestgehend. Doch es ändert nicht, dass diese Familien sich permanent strecken müssen. Auch die Hilfe muss organisiert werden und fällt einem nicht zu. Und dieses "Strecken" laugt aus, es ist eine große Anstrengung zum normalen Alltag, die ihre Spuren hinterlässt. Dass die armen Familien im Vergleich mit der Mehrheit stets unterliegen, ist ein Gefühl, dass sich jeden Tag aufs Neue als Demütigung herausstellt. Anfang des Jahres bekam Ravi Karmalker von der 37 Grad-Redaktion den Auftrag, eine Reportage über Kinder- und Jugendarmut in Deutschland zu drehen. Für den Autor und Regisseur ein Befreiungsschlag, wie er selber sagt, denn das Thema war in den letzten Jahren in seinem Alltag präsenter als er es wahrhaben wollte: Was die Kinder allerdings gespürt haben, war eine Spaltung innerhalb der Kita-Gruppe, die sich unter anderem vor den Toren der Kindertagtesstätte darstellte, wo kurz nach Mittag Karossen der oberen Mittelklasse vorfuhren, in denen wohlhabende Eltern wohlhabende Kinder zu ihren zahlreichen Kursen chauffierten. Natürlich entstand so ein Netzwerk derer, die sich das leisten können, und der Kreis derer, bei denen es nicht geht - eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.